Colmar von der Goltz


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Biographie

 

Geboren wurde Goltz am 12. August 1843 in Adlig Biekenfeld im ostpeußischen Kreis Labiau. Er wuchs auf dem Gut Fabiansfelde bei Preußisch Eylau auf, das sein Vater nach dem Verkauf des Gutes Biekenfeld erworben hatte. 1861 ging Goltz zur Infanterie und machte dort eine steile Karriere: ab 1894 besuchte er die Kriegsakademie in Berlin, nahm 1866 am Deutschen Krieg gegen Österreich teil und wurde schwer verwundet. Ab 1867 war er Mitglied im preußischen Generalstab und diente ab 1870, als der deutsch-französische Krieg begann, im Stab von Friedrich Karl Nikolaus von Preußen.

Zwischen 1878 und 1883 wirkte Goltz als Lehrer für Kriegsgeschichte an der preußischen Kriegsakademie und schrieb einige Standardwerke über Strategie und Taktik des modernen Krieges. 1883 entsandte ihn der preußische Kaiser nach Konstantinopel, wo er im Auftrag des  türkischen Sultans, der zu den Verbündeten des deutschen Kaiserreichs zählte, damit begann, das osmanische Heer zu reorganisieren. Er erhielt den Titel eines Marschalls („Müschir“) und den Ehrentitel Pascha.

Den Sultan bestärkte Goltz in dem Vorhaben, eine panislamische Türkei vom Mittelmeer bis zum kaspischen Meer, vom Balkan bis Syrien zu schaffen. Christliche Minderheiten wie die Armenier, von denen etwa 1,5 Millionen im türkischen Kernland siedelten, störten bei diesem Vorhaben. Außerdem galten die Armenier als potentielle Verbündete des russischen Zaren, der mit den türkischen  Sultanen um die Vorherrschaft in Vorderasien und auf dem Balkan stritt.

Die Türken fühlten sich von den russischen Expansionsbestrebungen permanent bedroht, und Goltz bestärkte sie in diesen Befürchtungen, auch was die Rolle der Armenier in diesem Kräftespiel anging. Sein Biograf Carl Alexander Krethlow urteilt: „Goltz hat seit Mitte der 1880er Jahre  maßgeblich dazu beigetragen, dass im preußischen Generalstab die Armenier als potentielle Gefahr für das Osmanische Reich im Falle eines Krieges mit Rußland wahrgenommen wurden. Damit etablierte er in der deutschen Militärführung eine der Grundlagen für die während des Ersten Weltkriegs erkennbare Distanz vieler deutscher Offiziere zum Schicksal der Armenier.“ (1)

Zu denen, bleibt hinzuzufügen, sich Goltz auch nicht besonders hingezogen fühlte. Das wird besonders deutlich, wenn es darum geht, die Rolle deutscher Rüstungsfirmen im Konkurrenzkampf mit anderen europäischen Herstellern am Sultanshof zu rekonstruieren. 1886 ordnete der Sultan die Beschaffung eines neuen Infanteriegewehrs für die osmanische Armee an, und Goltz erhielt den Auftrag, mit der Firma Mauser in Oberndorf und der Firma Loewe in Berlin Kontakt aufzunehmen.

C.A. Krethlow schildert in seiner Goltz-Biografie, was darauf hin geschah: „Eine Kommission, der auch Goltz angehörte, führte Schießversuche mit  verschiedenen Gewehrmodellen durch und verfasste nach zahlreichen Verzögerungen einen diesbezüglichen Abschlussbericht, der am 14. Dezember 1886 vom Sultan angenommen wurde. Der Kauf von 500.000 Mauser-Gewehren wurde angeordnet. Kriegsminister Ali Saib Pascha, der den Vertrag vorzubereiten hatte, stand jedoch mit einem Armenier namens Azarian in Verbindung und suchte das Geschäft zu torpedieren. Goltz zufolge organisierte Azarian die gesamten Waffenlieferungen an das Osmanische Reich, hatte damit Millionen verdient und sich einen beherrschenden Einfluss erworben.

1873 gelang es dem US-Waffenhersteller Providence Tools durch Azarian einen Vertrag über 600.000 Gewehre des Systems Peabody-Martini mit dem Osmanischen Reich abzuschließen.“ (2)

Es entbrannte ein heftiger Konkurrenzkampf, den der Sultan auf Einrede von Goltz vorläufig damit beendete, dass er Mauser, Loewe und Goltz ins Palais einberief, um mit ihnen direkt zu verhandeln. Das armenische „Störfeuer“, geschürt von einflussreichen armenischen Staatsbeamten in der Regierung des Sultans, hörte allerdings nicht auf. Die anti-armenische Haltung des späteren Generalfeldmarschalls dürfte dadurch nachdrücklich geprägt worden sein. Seine diesbezüglichen Berichte an den deutschen Generalstab und Kaiserhof ließen an Deutlichkeit jedenfalls nicht zu wünschen übrig. Auch der deutsche Botschafter in Konstantinopel wurde in das Kräftespiel mit einbezogen. Es endete mit der Bestellung von 500.000 Mauser-Gewehren im Februar 1887.

Goltz, der die Armenier im privaten Rahmen als „schmieriges Händlervolk“ bezeichnet haben soll, scheute sich nicht, auch öffentlich das stereotype Bild des geldgierigen Armeniers zu kolportieren. Er beobachtete die Entwicklungen rund um die armenische Minderheit im Osmanischen Reich weiterhin scharf. Als Christen waren sie in der islamischen Mehrheitsbevölkerung Bürger zweiter und dritter Klasse. Es kam zu Unruhen in den „Vilajets“, den armenischen Siedlungsgebieten, geschürt von Diskriminierung, Unterdrückung und Elend. Verdeckte und offene Türkenfeindlichkeit war die Antwort. 1888 berichtet Goltz erstmals über eine „armenische Verschwörung“, die angeblich vom Vilajet Van ausging und bei den armenischen Zirkeln in der Hauptstadt Konstantinopel Unterstützung erfuhr. Repression war die Antwort.

Verhaftungen wurden vorgenommen und Briefe und politische Pamphlete beschlagnahmt. Doch immer noch waren armenische Spitzenbeamte am Sultanshof in einer starken Position. Goltz war sich sicher, dass diese Beamten nicht an einer armenischen Verschwörung beteiligt waren. Gleichwohl schürte er Misstrauen gegen sie, indem er behauptete, Armenier seien für die desolate Finanzlage des Osmanischen Reichs verantwortlich - nicht einzelne Beamte, sondern die Armenier und die von ihnen provozierten Unruhen insgesamt. Krethlow: „Sein Ansatz war die Intensivierung militärischer Maßnahmen, um in den armenischen Vilajets Ruhe und Ordnung wiederherzustellen.“ Die offenkundigen Massaker an Armeniern verharmloste Goltz.

 

Den bisherigen „Berichten über die angeblichen Gemetzel“ sprach Goltz eine stark subjektive, pro-armenische Haltung zu. Wer Land und Leute kenne, so Goltz, für dessen Ohr klingen die „Schauergeschichten von der Abschlachtung von Tausenden von Menschen, von Frauen und Kindern höchst unwahrscheinlich.“ Andere Maßnahmen zur Vorbeugung und Unterdrückung von Wirren“, so Krethlow, „gingen nur schleppend voran. So empfahl er die rasche Verteilung neuer Mauser-Gewehre, damit sich die Truppen mit deren Gebrauch vertraut machen konnten. Dass sie noch im September 1895 nicht an die Truppen ausgegeben waren, lastete Goltz dem Sultan an, dem es am guten Willen fehle, seine Soldaten für die Unterdrückung von Aufständen sachgemäß auszurüsten.“ (3)

Seine Kritik am Sultan blieb gleichwohl nicht folgenlos: nur wenige Wochen später konnte der deutsche Diplomat Saurma nach Berlin berichten, der Sultan habe direkte Befehle gegeben, die aufständischen Armenier niederzuschlagen.

Als Goltz 1895 - nach zwölfjähriger Tätigkeit in Konstantinopel - nach Berlin zurück beordert wurde, hatte er im türkischen Generalstab tiefe Spuren hinterlassen. Sein 1883 in Deutschland publiziertes und ins Türkische übersetzte Buch „Das Volk in Waffen“ wurde zum Standardwerk der osmanischen Offiziersausbildung. Die Bedeutung des Vernichtungskriegs und das Nationalitätenprinzip waren wesentliche Punkte seiner Lehre.

Den Zweck des Krieges, so Krethlow, sah Goltz in der völligen Vernichtung bzw. der gänzlichen Erschöpfung des Gegners. „Im Osmanischen Reich sollten diese Thesen des preußischen Offiziers im Zusammenhang mit dem Kampf gegen die Armenier im Ersten Weltkrieg erschreckende Auswirkungen zeigen. So trugen die Lehren von Goltz, die den Einbezug aller Kräfte zur Erreichung des militärischen Sieges forderten, dazu bei, dass Deportationen, Umsiedlungen und Vernichtungsmaßnahmen Eingang in das Vorstellungsvermögen osmanischer Militärs fanden. Goltz partizipierte damit  an der theoretischen Basislegung für den späteren Genozid an den Armeniern und dessen militärischen Begründungen. (4)

Dem Genozid an den Armeniern 1915 war 1912/13 der verlorene Balkankrieg vorausgegangen. In dessen Folge wanderten mehr als 400 000 muslimische Immigranten aus dem Balkan nach Anatolien ein. Für die christlichen Minderheiten wurde es eng. Die jungtürkische Bewegung, die inzwischen die Macht in Konstantinopel übernommen und einen neuen Kriegsminister sowie einen neuen Befehlshaber für die Gendarmerie ernannt hatte, bereitete in der Folge heimlich die Deportation Hunderttausender Armenier vor. Goltz hatte inzwischen in der Heimat weiter Karriere gemacht und war erst zum Generalleutnant, dann zum General der Infanterie und Kommandeur des 1. Armeecorps ernannt worden. 1907 schließlich wurde er zum Generalfeldmarschall befördert und trat 1913 im Alter von 70 Jahren in den Ruhestand.

Da er bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs schon über 70 war, erhielt er kein Frontkommando mehr, sondern wurde 1914 Generalgouverneur für das deutsche Generalgouvernement Belgien. Schon bald bat er wieder um Abberufung von diesem Posten und wurde auf Vorschlag des deutschen Botschafters in Konstantinopel, Freiherr von Wangenheim, militärischer Berater des neuen türkischen Sultans Mehmet V. Als solcher entwickelte er Pläne zur Deportation der Armenier.  Als ihm der türkische Kriegsminister Enver Pascha im März 2015 den Deportationsbefehl vorlegte, stimmte er zu.

 „Zusammenfassend meinte Goltz, dass es nun die Pflicht des jungtürkischen Staates sei, eine rücksichtslose Interessenpolitik zu verfolgen... Damit befürwortete Goltz grundsätzlich das Konzept der Zwangsumsiedlung und nahm aus nationalen Überzeugungen die damit verbundenen menschlichen Tragödien in Kauf.“ (5) In der Türkei erhielt Goltz dann doch noch die ersehnte Kommandogewalt über große  Truppenverbände im Ersten Weltkrieg. Er wurde Oberbefehlshaber der 6. osmanischen Armee, der er zum Sieg in wichtigen Schlachten gegen die Briten verhalf.

Goltz starb am 19. April 1916 in seinem Hauptquartier in Bagdad - an Typhus. Sein Biograf Carl Alexander Krethlow sieht in ihm - neben dem Sultan und fanatisch türkisch-nationalistischen Offizieren einen der Hauptverantwortlichen für den Genozid.

 „Das Vorgehen der türkischen Militärs gegen die Armenier widerspiegelt...die seit Jahren von Goltz vertretenen Lehren über den Vernichtungskrieg im Zeitalter des Nationalismus. Als Mentor zahlreicher türkischer Militärs sowie im Umgang mit dem Osmanischen Reich erfahrenster deutscher Offizier kam Goltz großes Gewicht zu. Insofern war er bereits lange vor dem Ersten Weltkrieg maßgeblich daran beteiligt, die theoretischen Grundlagen für den Genozid an den Armeniern von 1915/16 zu schaffen“. (6)

 

Anmerkung:

Die Zitate (1) bis (6) stammen aus:

Carl Alexander Krethlow, Rüstungsgeschäfte, Verschwörungen und Massaker - Goltz Pascha und die Armenierpolitik im Osmanischen Reich (1886-1914), Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts, Bremen 2008

 

Literatur

Carl Alexander Krethlow: Generalfeldmarschall Colmar Freiherr von der Goltz,

Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2012

 

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